Engagement und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – Die Greenpeace Jugendstudie räumt mit Irrtümern auf

von Thomas Hohn
Engagement und Bildung hängen eng zusammen. Das zweite Greenpeace-Nachhaltigkeitsbarometer, eine repräsentative Studie der Leuphana Universität Lüneburg im Auftrag von Greenpeace zeigt Irrtümer in Bezug auf das Engagementverhalten der Jugend auf und weist nach, dass, das Bildungssystem die notwendigen Kompetenzen für Engagement und Nachhaltigkeit nicht ausreichend vermittelt. Die Vereinigten Nationen fordern dafür seit Jahren eine „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Greenpeace initiierte 2014 das Bündnis ZukunftsBildung, ein Bündnis aus großen NGOs aus den Bereichen Bildung, Entwicklung, Jugend und Umweltschutz. Das Bündnis ZukunftsBildung setzt sich für eine Implementierung einer „Bildung für nachhaltigen Entwicklung“ ein und begleitet diesen Prozess kritisch.

Jugend auf neuen Pfaden

Mutig, aktiv, engagiert! Wenn Jugendliche gefragt werden, geben sie an, soziale Verantwortung zu übernehmen und sich gesellschaftlich zu engagieren. In puncto Jugend und Engagement hat sich allerdings etwas verändert und es besteht dringender Handlungsbedarf. Allerdings weniger auf der Seite der Jugendlichen.

Die aktuellste Vorab-Veröffentlichung aus dem „Nachhaltigkeitsbarometer 2014“ weist nach, dass die neue Generation situativer eingreift und aktionsorientierter ist als frühere Generationen. Sie suchen sich ihren eigenen Zugang zum Engagement und bewegen sich nicht auf den vertrauten Pfaden. Sie greifen zu vielfältigen Engagementformen: Nutzung des Internets, Einsatz für die Interessen ihrer Region, Kleidertauschparties, Demonstrationen, Boykotts bis hin zu konkreten Verhaltensänderungen in ihrem Alltag. Das aktionsorientierte Protestengagement ist dabei unabhängig von der besuchten Schulform der Akteure und korreliert vielmehr mit den Werten, die Jugendliche vertreten. Bei den Protestaktionen stehen Produktboykotts hoch im Kurs, über 30% greifen bereits jetzt zu dieser Protestform, fast 50% geben an, zukünftig Produkte zu boykottieren, die nicht umweltfreundlich hergestellt wurden oder deren Unternehmen gegen Menschenrechte verstoßen.

Greenpeace wollte wissen, was die Jugend bewegt. So untersuchte die repräsentative Studie „Nachhaltigkeitsbarometer 2014“ die Fragestellung zum Themenspektrum Engagement, Bildung und Nachhaltigkeit. Dafür befragte sie 1511 Personen im Alter von 15 bis 24 Jahren zu Orientierung und Handlungsweisen im Sommer 2014. Die drei vorabveröffentlichten Auskopplungen aus der Studie räumen mit etlichen Irrtümern gegenüber der Jugend auf. So ist eine Mehrheit der Deutschen der Ansicht, dass sich die Jugend weniger einbringt, als das früher der Fall war. Die Studie zeigt auf, dass die Jugend weitaus besser ist als ihr Ruf: 92 % der Jugendlichen engagieren sich heute.

Warum wird dieses Engagement der Jugend nicht wahrgenommen? Die Antwort ist einfach: Die junge Generation sucht neue Wege des Engagements und macht ihr „eigenes Ding“. Diese neuen Pfade bewegen sich häufig außerhalb der klassischen Engagementfelder, sind teilweise virtueller, manchmal auch versteckter und finden sich weniger in den traditionellen Vereinen und Organisationen wieder.

Auch fehlende Zeit, so die Studie, ist kein Grund für die Jugend, sich weniger zu engagieren. Es gibt durchaus Stimmen, die den Eindruck vermitteln, dass die Jugend ihre Zeit zunehmend anders nutzen würde bzw. weniger Zeit zur Verfügung hätte und sich daher weniger dem bürgerschaftlichen Engagement widmen würde. Der jungen Generation sind ihre Themen jedoch wichtig, sie brennen dafür und setzen sich ein, sogar umso mehr, je knapper die zeitlichen Rahmenbedingungen zu sein scheinen.

Bei ihrem Engagement achtet die junge Generation, unabhängig von der Engagementform, deutlich stärker auf die Selbstwirksamkeit als frühere Generationen. Sie handeln kurzfristiger und projektbezogener. Ihr Engagement passen sie an ihre Lebenswirklichkeit an, es ist individueller, spontaner, mitnichten jedoch passiver. Sie wollen nicht in der Pflicht sein und sich langfristig einbinden. Sie fragen mehr nach Wirkung als nach Ehre, Amt und Dank.
Dabei ist bei allem Drive, den die Jugend entwickelt, noch lange nicht das Ende erreicht. Sie würden sich gerne noch intensiver in verschiedene Aktionsformen einbringen. So würden beispielsweise über 41% gerne an Demonstrationen teilnehmen, bisher nutzen lediglich 23% diese Protestform. Auch bei anderen Engagementformen zeigt sich Luft nach oben und eröffnet sich Raum zwischen Wollen und Handeln. Gerade bei dem Thema Nachhaltigkeit ist die Jugend mehr als bereit zu handeln, häufig fehlt es an Möglichkeiten und des Wissens um das „wie“.

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Das Engagementverhalten bewegt sich in einer engen Wechselbeziehung zu Bildung. Wenn in den Bildungsorten – wie bspw. in Kita und Schule – ein Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung geschaffen wird, erhöht sich das Engagement, so die Studie der Leuphana Universität Lüneburg. Dieses Engagement hat dabei die Komplexitäten unserer heutigen Welt in ihrer Gesamtheit im Blick. Eine Bildung für nachhaltige Entwicklung fasst daher ökologische, ökonomische, soziale wie auch kulturelle Dimensionen mit ein.

Wenn diese Bildung Wirkung auf das Engagement hat, dann muss anerkannt werden, dass Schule als ein entscheidender Bildungsort doch einen erheblichen positiven Einfluss auf die Werte und das Handeln von Jugendlichen hat.

Was ist Bildung für nachhaltige Entwicklung? Eine Bildung für nachhaltige Entwicklungen – im Fachdiskurs gerne mit BNE abgekürzt – stellt sicher, dass erkannt wird, dass das jeweilige Handeln des Einzelnen Auswirkungen hat. Es liegt in der Hand jeder und jedes Einzelnen, diese Welt ein Stück zu einer besseren Welt werden zu lassen.  Das Kernanliegen von BNE ist es, Menschen zu ermächtigen komplexe Zusammenhänge zu verstehen und daraus nachhaltige Handlungen zu entwickeln. Es gilt, über den Tellerrand hinauszuschauen, ökologische, ökonomische und soziokulturelle Themen querzudenken und neu zu entwickeln. Bildung für nachhaltige Entwicklung versetzt Menschen in die Lage zu sogenannten „change agents“ zu werden und sich selbst, wie auch die Gesellschaft in der wir leben, zu verändern.

Die UN hat bereits seit etlichen Jahren erkannt, dass die Themen Klimawandel, Gerechtigkeit, Umweltschutz nicht mit einem „immer-weiter-so“ zu lösen sind. Wenn wir als Menschheit eine Zukunft wollen, so brauchen wir dafür einen achtsamen Umgang mit unserem Planeten und mit unseren Ressourcen. Umwelt, Konsum, Mobilität, Miteinander müssen neu gedacht und gelebt werden. Es bedarf eines grundsätzlichen Kulturwandels, damit die globalen Probleme angegangen werden können. Die Vereinten Nationen haben Bildung als essentiellen Schlüssel für einen solchen Kulturwandel hin zu einer lebenswerten Zukunft und gerechteren Welt erkannt. Deshalb riefen sie von 2005 – 2014 die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aus und beschlossen daran anschließendes ein Weltaktionsprogramm. Ziel war und ist es, einen weltweiten Transformationsprozess anzustoßen. Zukunft, so die UN, wird mit Bildung gemacht.

Bildung und Engagement sind zwei Seiten einer Medaille

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist damit eine Zukunftsbildung. Fest in die Bildungseinrichtungen verankert, befeuert sie Jugend und befähigt sie mit Gemeinschafts- und Kooperationskompetenzen Gesellschaft zu bewegen. Bildung und Engagement sind zwei Seiten einer Medaille.

In Deutschland hat die UN-Dekade einiges bewegt, knapp 2000 Projekte wurden ausgezeichnet, an vielen Stellen entstanden gute Ideen und starke Konzepte. Die Vorab-Veröffentlichungen aus dem Nachhaltigkeitsbarometer zeigen aber auch, das wir noch weit von einer flächendeckenden Bildung für nachhaltige Entwicklung entfernt sind. BNE ist nur einem Fachpublikum bekannt und die Diskussionen bewegen sich zu sehr in politischen und wissenschaftlichen Elfenbeintürmen. Nachhaltige Entwicklung und Engagementförderung machen an Schulen einzelne aktive Lehrkräfte. Es bedarf hier einer grundsätzlichen Orientierung und strukturelle Absicherung in den Schulen.

Diese bleiben jedoch aus, die Erkenntnisse der Vereinten Nationen kommen in den Schulen meist nicht an. Zwar hören Jugendliche in der Schule etwas über Nachhaltigkeit, aber die Kompetenzen für nachhaltiges Handeln werden nicht gelehrt. Aktuell geben nur 19% der befragten Jugendlichen an, dass ihre Unterrichtsfächer miteinander verknüpft werden, mit Zukunftsvisionen beschäftigten sich auch nur 19%. Mit anderen Kulturen oder Generationen haben sich 15% ausgetauscht, nur 11% beschäftigten sich mit anderen Sichtweisen und langfristigen Projekten sind gar nur 5% der Jugendlichen in der Schulzeit begegnet. So können Kompetenzen, die für Engagiert-sein notwendig sind, nicht entstehen. Die Kompetenzdefizite sind eklatant.

Unser Bildungssystem ist auf einen grundlegenden Wandel nicht eingerichtet. Im Unterricht werden zwar Themen wie Klimaschutz und Menschrechtsverletzungen angesprochen, auch gibt es vereinzelt einen fächerübergreifenden Unterricht wie beispielsweise zwischen Erdkunde und Biologie – doch in der Praxis ändert sich dadurch zu wenig. Das bezieht sich nicht nur auf den Unterricht, sondern schließt den ganzen Bildungsort in einem „Whole School Approach“, wie ihn die UNESCO fordert, mit ein. In der Schulmensa gibt es weiterhin billiges und ungesundes Essen und am Kopierer stapeln sich die Papierberge. Wollen ist nicht gleich Handeln, Kopf-Wissen nicht gleich Engagement.

Kompetenzen sind der Schlüssel zum Engagement

Den Bildungsorten kommt hier eine wichtige Aufgabe zu. Die Studie hat ergeben: die Jugend ist sich sehr bewusst, dass sich etwas ändern muss. Im Rahmen von Schule wird Jugend jedoch weder gefragt, wie sie ihre Zukunft gestalten will, noch werden Erfahrungsräume aufgemacht, wie Gesellschaft verändert werden könnte. Es fehlt am nötigen Handwerkszeug.
Bildung für nachhaltige Entwicklung gibt diese in Form von Kernkompetenzen an die Hand. Diese sind:
–    Systemkompetenz (Verständnis von komplexen Zusammenhängen),
–    interpersonelle Kompetenz (Kommunikation-, Austausch- wie auch Kooperationsfähigkeiten),
–    strategische Kompetenz (vorausschauende Planungsfähigkeit),
–    antizipative Kompetenz (Kreatives Denken und Gestalten) und
–    normative Kompetenz (Wissen zu nachhaltigen Entwicklungen).

Diese Art der Bildung ermächtigt Jugendliche sich auf Augenhöhe zu beteiligen und ihre Stimme zu erheben. Verständnis und Mitgefühl wachsen, Gerechtigkeit und Achtsamkeit verändern die Haltung eines „Immer-mehr-haben-Wollens“.

Wo liegen die Hindernisse? Insgesamt werden notwendige Kompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung nicht ausreichend gefördert. Das Fächerkorsett ist zu eng, die Verknüpfung von Fächern immer noch zu selten. Intergenerationelle und kulturelle Ansätze fehlen meist, andere Perspektiven werden in der Regel nicht eingenommen und Zukunftsideen werden nicht kreativ quergedacht. Es müssen neue Wege beschritten werden.

Es ist keine Frage: einzelne Institutionen, Lehr- und Fachkräfte setzen einiges schon um, dennoch bleiben sie lediglich Leuchttürme, hell wird es dadurch nicht. Schülerinnen und Schüler brauchen die Chance, Nachhaltigkeit zu erlernen, flächendeckend. Die Jugend, so weist die Studie eindrücklich nach, wartet nur darauf, sich zu beteiligen und Nachhaltigkeit umzusetzen.

Konsequenzen aus der Studie

Zum einen zeigt die Studie auf, dass sich bürgerschaftliches Engagement im Zusammenhang mit Jugendengagement neuen Herausforderungen stellen darf. Die Jugend agiert anders, kurzfristiger und will ungebundener größere Selbstwirksamkeit entfalten. Die Daten zeigen auch auf, dass sich Personen aus der jüngeren Generation noch intensiver engagieren möchten. Vielen fällt jedoch der Einstieg schwer. Niedrigschwellige Formen wie ein Engagement ohne längerfristige Mitgliedschaft, Funktionsübernahme oder finanzielle Beiträge scheinen bevorzugt zu werden. Ein probates Mittel ist zu dem die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Die wird zwar oft eingefordert, auch von der UNESCO, aber selten umgesetzt. Da wo nur über Jugendliche bestimmt wird, setzen sie sich auch nicht ein. Augenhöhe erfahren ist gefragt.

Zum anderen weisen die Ergebnisse daraufhin, dass Engagement und Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht von einander gelöst werden können und Bildung das Engagement befeuern kann, sofern die Kompetenzen vermittelt werden.
Hierzu bedarf es politischen Willen, die Lehr- und Fachkräfte dürfen mit dieser Aufgabe nicht im Regen stehen gelassen werden. Wir brauchen eine flächendeckende Implementierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung, in den Kitas, den Klassenräumen, den Universitäten und Ausbildungsstätten, den außerschulischen, informellen und non-formalen Bildungsbereichen.

Das Bündnis ZukunftsBildung

Um diese wirkungsvoll vorantreiben zu können, hat Greenpeace das Bündnis ZukunftsBildung initiiert, dass aus deutschen Nichtregierungsorganisationen aus den Bereichen Jugend, Bildung, Umwelt, Entwicklung und Menschenrechte besteht und das die Interessen von über 2,5 Millionen Mitgliedern und Fördernden vertritt. Namentlich sind im Bündnis ZukunftsBildung folgende Organisationen: BUND, BUNDjugend, Germanwatch, Greenpeace, GEW, Innowego, NAJU, Oxfam, Welthungerhilfe und WWF.

Das Bündnis fordert die Politik auf, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft einen Aktionsplan zu entwickeln, damit BNE fest im deutschen Bildungssystem verankert werden kann.
Die Botschaft ist mittlerweile angekommen. Ein fraktionsübergreifender Antrag des Bundestages unterstützt Bildung für nachhaltige Entwicklung, das Bundesbildungsministerium ist mit einer Umsetzung zur Implementierung von BNE gefordert und auch die Bundeskanzlerin spricht davon, dass ein Paradigmenwechsel notwendig sei.

Die Forderungen werden lauter, dass die Bildungslandschaft sich verändern und „vom Projekt zur Struktur“ gelangen muss. Wer das will, muss sich jedoch im Klaren sein, dass die vorhandenen Strukturen Unterstützung brauchen, langfristig und abgesichert. Es braucht dafür einen Zukunftsfonds, der die langfristige Finanzierung von notwendigen Strukturen sicherstellt.

Insgesamt liegt ein gesamtgesellschaftlicher Prozess vor uns, der Engagement, Bildung und nachhaltige Entwicklungen als eine Einheit versteht und die Möglichkeiten unserer Zeit nutzt, um den komplexen globalen Herausforderungen zu begegnen. Die von der Weltgemeinschaft erfragten „change agents“ für die Gestaltung unserer Zukunft sind wir alle.

Thomas Hohn ist Kampaigner für Umwelt- und Bildungspolitik bei Greenpeace e.V.,  Sprecher des Bündnisses ZukunftsBildung und Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Bildung.

Ber Beitrag erschien zuerst im  BBE-Newsletter Nr. 17 vom 20.8.2015

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