Kritisches Weißsein – die Geschichte und jetzt?

Ein Workshop auf der youcoN 2022 zum Umgang weißer Personen mit rassistischen Strukturen

Artikel von Theresa Mommertz.

Kolonialzeit und Rassismus: riesige Themen über die man unfassbar viel lernen kann. Wie lässt sich das Ganze auf unsere heutige Gesellschaft beziehen und welche Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten haben dabei weiße Personen? Zunächst möchte ich transparent machen, dass ich diesen Bericht aus der Perspektive einer weißen Person schreibe. Unsere Referentin war Noomie Arndt,  sie arbeitet bei Elimu, einer Organisation, die sich für diskriminisierungssensible Bildung einsetzt.

Zu Beginn des Workshops haben wir das Spiel „Was wäre wenn…“ gespielt, in dem die Teilnehmenden an verschiedenen Beispielen hinterfragen sollten, wie die Welt wäre, wenn bestimmte geschichtliche Ereignisse nicht passiert wären. Unter anderem sollten wir überlegen, wie es wäre, wenn die Schulpflicht nicht eingeführt oder das Flugzeug nicht erfunden worden wäre. Durch diese Übung sind wir zu dem Schluss gekommen, dass alle geschichtlichen Ereignisse einen Einfluss auf die Gegenwart haben.

Europäische Geschichte und Gegenwart lässt sich nicht ohne einen Blick auf Kolonialismus begreifen

So ist auch ganz entscheidend in diesem Thema die Kolonialzeit. Europäische Mächte bekämpften und besetzten den Kontinent Afrika und andere Teile der Welt. Sie beraubten der Bevölkerung jegliche kulturelle, soziale und ökonomische Selbständigkeit und entmenschlichten die Personen, indem sie diese als Ware handelte. Diese Sklaverei ist Grundlage des europäischen Wohlstands.

Die ganze Maschinerie der Kolonialisierung und Sklaverei benötigte nachhaltige Unterstützung aus der Gesellschaft. Die moralische Legitimation dieser Taten begründeten die Europäer*innen in der sogenannten „Rassentheorie“. Eine ausgedachte und wissenschaftlich widerlegte Einteilung der Menschen in verschiedene Kategorien, in denen weißen Menschen ein höherer „Wert“ zugesprochen wurde als PoC (People of Colour).

Wir konnten also festhalten, dass Europäer*innen zu Rassist*innen wurden, durch die Sklaverei und Kolonialisierung. In diesen Punkten der Geschichte liegt auch ein wichtiger Ursprung des heutigen Rassismus. Auch wenn viele Menschen vermutlich eher an Frankreich oder Spanien als große Kolonialmächte denken, hat das deutsche Reich (Ende 19. Jh. bis Anfang 20. Jh.) hier auch ganz klar eine große Rolle gespielt. Die deutschen Kolonien waren das drittgrößte Kolonialreich gemessen an der Fläche, und an der Bevölkerung gemessen das Viertgrößte.

Zu den deutschen Kolonialgebieten gehörten Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Neuguinea, aber auch einige Bereiche, die auf dem asiatischen Kontinent liegen. Wichtig in diesem Kontext zu nennen ist auch der Genozid an den Herero und Nama, welche ab 1904 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika stattfand. Bei diesem Genozid wurden bis zu 75.000 Herero und Nama von deutschen Kolonialtruppen ermordet. Hauptverantwortlich dafür war der preußische General der Infanterie, Lothar von Trotha, welcher den „Vernichtungsbefehl“ erließ. Um seine Person nur kurz einmal näher zu beleuchten, haben wir über folgendes Zitat von ihm gesprochen:

„Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut und Strömen von Geld. Nur auf dieser Aussaat kann etwas neues entstehen.“ – Lothar von Trotha.

An dieser Aussage lässt sich ganz klar die Entmenschlichung und Grausamkeit der Kolonialzeit verdeutlichen. Aber wie können wir all diese Grundlagen von Rassismus nun auf die heutige Zeit und das kritische Weißsein beziehen?

Eindimensionale Sichtweisen erkennen lernen

Dafür hat uns unsere Referentin Noomie einen Ausschnitt aus dem Ted Talk von Chimamanda Adichie zum Thema „The danger of a single story“ gezeigt. Bei der Diskussion über den Ted Talk wurde uns ganz deutlich, was eine der Gefahren ist, wenn wir nur ein Bild also eine „Single Story“ von bestimmten Dingen kennen. Häufig schließen Menschen von diesem einen Eindruck ganz automatisch auf anderes. Außerdem wird in Deutschland häufig nur die gleiche „Single Story“ von Menschen, die in Afrika leben reproduziert.

Chimamanda Ngozi Adichie: The danger of a single story | TED

Dies haben wir auch an der Kindergeschichte „Struwwelpeter – die schwarzen Buben“ verdeutlicht. In dieser Geschichte wird der Schwarze Junge ganz klar objektiviziert. Dadurch, dass er beispielsweise keinen Namen hat und auch nicht spricht. Darüberhinaus sehen wir bei den Abbildungen auch ganz klare rassistische Stereotype, welche reproduziert werden. Diese Reproduzierung von rassistischen Denkstrukturen, auch in dem Verlauf der Erziehung, ist generell, aber auch konkret in einem Kinderbuch überaus problematisch, da Menschen so schon von klein auf in die rassistischen Denkstrukturen erzogen werden.

Wenig Sichtbarkeit von BIPoC im Schulunterricht

Leider gibt es auch sehr wenig Sichtbarkeit von BIPoC (Schwarze, Indigene, Personen of Color) in der Jugend. Dazu haben wir uns eine nicht repräsentative Umfrage von Autor*innen, die im Deutschunterricht in Baden-Württemberg thematisiert werden, angeschaut. Von 225 Autor*innen sind 208 weiße Männer, 17 weiße Frauen, 15 PoC Männer und lediglich 2 PoC Frauen. An diesen Zahlen kann man gut erkennen, dass auch in der Schule die Anerziehung von rassistischen Denkstrukturen weitergeht.

Weißsein wird in unserer Gesellschaft nur durch das nicht „nicht-weiß“ sein definiert. Weiß sein gilt als Norm. Weiße Menschen werden nie durch diese Eigenschaft beurteilt. In vielen Bereichen wird alles auf das Weißsein ausgerichtet. Das Weißsein an sich gilt als selbstverständlich, weswegen weiße Menschen sich dessen selten bewusst sind.

In Drogeriemärkten finden sich fast ausschließlich Produkte wie Schminke und Pflaster für weiße Personen. Manche automatischen Seifenspender reagieren nicht auf Hände von BIPoC.
Wir alle sind in diesem rassistischen System aufgewachsen, uns wurde der Rassismus von klein auf anerzogen. Unter anderem durch Literatur, Medien und Bildung wurden wir alle rassistisch sozialisiert. Wir sind alle Teil des Systems, dass voll mit Rassismus ist und sind dadurch automatisch zu Rassist*innen erzogen worden.

Und jetzt? Wie können wir es schaffen etwas gegen diesen internalisierten Rassismus in uns zu tun?

Dafür gibt es natürlich keine To-Do Liste. Aber viele Möglichkeiten um anzufangen. Zunächst ist das Bewusstsein für die Situation die Grundlage für alles weitere. Selbst zu merken wo wir Rassismus erlernt haben, zu erkennen wenn wir rassistisch Denken oder Handeln, unsere Verantwortung wahrzunehmen als weiße Person, all dies zu reflektieren und uns bewusst dazu zu entscheiden etwas gegen unsere Denkstrukturen zu tun. Unsere eigenen Privilegien als weiße Person zu reflektieren und in Situationen auch mal einen Schritt zurück zu gehen, um nicht-weißen Menschen den Raum zu geben. Neben diesem sogenannten Powersharen gibt es noch viele weitere Optionen, die hilfreich sein können.

Uns selbst zu bilden gehört ganz klar dazu. Mehr über die Geschichte des europäischen Wohlstands zu lernen, dies auf die Gegenwart zu beziehen und auf das eigene Verhalten. Sich immer mehr zu korrigieren, wenn man merkt, in welchen rassistischen Denkstrukturen man denkt. Aber in erster Linie BIPoC zuhören, verschiedenste Bücher lesen und sich selbst in die Verantwortung nehmen, etwas gegen den eigenen Rassismus zu tun.

Hier sind noch verschiedene Büchertipps von unserer Referentin Noomie

  • exit RACISM – Tupoka Ogette
  • Race – Toni Morrison
  • Space Invaders – Nirmal Puwar
  • Im dunkeln Spielen – Toni Morrison
  • Women, Race & Class – Angela Y. Davis
  • Rassistisches Erbe – Susan Arndt
  • White Fragility – Robin Diangelo

Das Logo des youthmag besteht aus dem Buchstaben y, der dreimal ineinander gelegt einen Kreis ergibt.

Dieser Artikel wurde geschrieben von Theresa Mommertz. Theresa ist im Rahmen der youcoN 2022 Teil der Jugendredaktion der Jungen Presse e.V.. In ihrem Magazin www.youthmag.de berichtet die Redaktion live von der Jugendkonferenz und stellt uns diesen Beitrag freundlicherweise zur Verfügung. Seit über 70 Jahren setzt sich die Junge Presse ehrenamtlich für medieninteressierte Jugendliche ein und ist einer der größten bundesweit aktiven Jugendmedienverbände. Als Teil der youthmag-Redaktion sammeln die Redakteur*innen erste praktische journalistische Erfahrung und probieren sich so aus.

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