Alt und voller Mut – Omas gegen Rechts

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum

Wenn in Deutschland gegen Rassismus und Antisemitismus demonstriert wird, sind sie immer häufiger dabei: die „Omas gegen Rechts“. Die älteren Frauen mit ihren Schildern fallen auf, mutig stellen sie sich rechten Aufmärschen entgegen. Zwei von ihnen sind die Erfurterin Gabriele Wölke-Rebhan und die Berlinerin Irmela Mensah-Schramm, die sich sogar „Ehren-Oma“ nennen darf: Sie macht seit 35 Jahren Jagd auf Nazi-Graffiti.

Gleich bei meiner ersten Demo wurde es brenzlig“, erzählt Gabriele Wölke-Rebhan. „Die Nazis standen zu Hunderten auf dem Erfurter Bahnhofsvorplatz. Wir waren zu acht, hatten uns ein paar Meter weiter postiert. Ich trug das erste Mal den ‚Omas gegen Rechts‘-Button am Mantel.“ Plötzlich sei eine Gruppe Rechter sehr nah an sie herangekommen. Die Männer hätten sie verhöhnt und bedroht: „Was wollt ihr alten Schachteln hier? Verpisst euch, sonst setzt es Hiebe.“ Natürlich habe ihr das Angst eingeflößt, sagt die 73-Jährige. „Aber wir sind dort stehengeblieben.

Doch wie kommt man dazu, sich mit über 70 Jahren einem rechten Mob entgegenzustellen? Gabriele Wölke-Rebhan erinnert sich an die Gespräche mit ihrem Sohn. Er lebt in Leipzig, ist Autor und freier Journalist. „Als er immer öfter über Angriffe von Rechten sprach, über Nazis in Justiz und Polizei, habe ich das anfangs relativiert und als Wichtigtuer*innenei abgetan. Später habe ich ihm Abbitte geleistet.“ Da waren vor allem im Osten die Umfragewerte einer bestimmten Partei gestiegen, und ein dazugehöriger Politiker war Dauergast auf den rechten Demos in Erfurt. Tausende brüllten allwöchentlich Parolen gegen Angela Merkel und die Regierung. „Denen darf man nicht die Stadt überlassen. Man muss Haltung zeigen“, sagt Gabriele Wölke-Rebhan.

Die Idee zur „Oma“-Bewegung entstand 2017 in Wien, als sich in Österreich eine Regierungsbeteiligung einer stark rechtsgerichteten Partei abzeichnete. Schnell breitete sich das Bündnis engagierter, älterer Frauen auch in Deutschland aus. Inzwischen sind in über 70 deutschen Städten „Oma“-Gruppen aktiv. Im vergangenen Jahr wurden sie vom Zentralrat der Juden und Jüdinnen mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet.

Auch die Erfurter Gruppe gibt es noch nicht lange. Gabriele Wölke-Rebhan erinnert sich an eines der ersten Treffen im Sommer 2019: wie damals drei Dutzend ihr unbekannte Frauen zusammen saßen – geeint in der Motivation, etwas unternehmen zu wollen gegen das rechte Geschrei, gewillt, ihre Gesichter zu zeigen und in die Öffentlichkeit zu gehen. Auf die erste Demo am Bahnhofsvorplatz folgten weitere. Zum Jahrestag des Attentats auf die Synagoge in Halle im vergangenen Herbst organisierte die Gruppe eine Menschenkette, um die Erfurter Synagoge symbolisch zu schützen. 200 Menschen nahmen daran teil, unter ihnen Ministerpräsident Bodo Ramelow.

Gabriele Wölke-Rebhan ist eine selbstbewusste Frau. Sehr individuell gekleidet, Schwarz und Grau sind ihre bevorzugten Farben, dazu trägt sie modernen Silberschmuck. Die elegante Brille passt zum Outfit, sie schaut dem Gegenüber direkt ins Gesicht. Ihr Name ist in Erfurt ein Begriff. Ein großes Schreibwarengeschäft in der Innenstadt, in dem es besonders feines Papier und edle Füllfederhalter zu kaufen gab. Als junge Frau machte Gabriele Wölke mehrere Berufsabschlüsse und übernahm dann das Geschäft von den Eltern.

„Zuhause ging es bürgerlich zu, die Eltern standen kontra zur DDR. Aber Alternativen boten sie mir nicht.“ So engagierte sie sich da, wo sie es für richtig hielt, zum Beispiel in einer Blockpartei. „Ich wollte nicht nur meckern, ich wollte etwas tun, damit es besser wird in der DDR.“ Doch das Land zerfiel zusehends. Im Herbst 1989 wurde sie von einem Bürger*innenrechtler angesprochen: Ob sie im Bürger*innenkomitee zur Auflösung der Staatssicherheit mitarbeiten wolle? Sie wollte. „Wir haben den Flughafen besetzt, sind in die SED-Bezirkszentrale reinmarschiert. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass das nicht ungefährlich gewesen ist.“ Mut aber könne man sich nicht vorher einreden. „Der kommt einfach über einen.“

Nicht tatenlos zusehen, sondern selbst Verantwortung übernehmen, diese Maxime gilt für sie auch heute noch. Einmal im Monat treffen sich die Erfurter „Omas“. Gabriele Wölke-Rebhan ist fast immer dabei: „Hier herrscht keine Hierarchie, kein Zwang. Dafür das Gefühl, in einer Gruppe Gleichgesinnte*r zu sein.“ Im kommenden Mai wollen sie an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erinnern. Die Frauen haben dazu das Erfurter Jugendtheater Schotte mit ins Boot geholt, sämtliche Innenstadt-Buchhandlungen, die Stadtbibliothek, Kulturvereine und weitere Akteur*innen. „Wir wollen Erinnerungen wachhalten“, sagt Wölke-Rebhan.

Die Frauen haben auch das Thüringer Programm einer gewissen Partei Wort für Wort studiert, sie wollen schließlich wissen, mit wem sie es zu tun haben. Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Minister*innenpräsidenten mit den Stimmen der dieser Partei standen sie täglich eine Stunde lang Mahnwache vor der Staatskanzlei, vier Wochen lang. Der Landessprecher dieser Partei höhnte im Internet: „Was ist zehn Meter lang und riecht nach Pippi? Eine Omas-Polonäse gegen rechts in der Staatskanzlei.“ Was hat sie da gefühlt? „Anfangs ein Gefühl der Fassungslosigkeit, der Ohnmacht und Verletzung“, sagt Gabriele Wölke-Rebhan. „Dann dachte ich: Jetzt erst recht.

Die 73-Jährige weiß, dass sie es ruhiger haben könnte: Rente, Nachmittagsfernsehen, die geliebten Bücher und Handarbeiten. „Gerne“, sagt sie. „Aber mir reicht das nicht.“ Also stellt sie sich in die Kälte, reckt ihr Plakat in die Höhe und hält Hass und Häme aus. Warum? „Ich finde es wichtig, dass wir die Leute zum Nachdenken bringen“, sagt sie. „Dass wir nicht resignieren. Dass wir sichtbar sind.“

Die „Ehren-Oma“

In Berlin gehört auch Irmela Mensah-Schramm zu den „Omas“, sie haben sie sogar zur „Ehren-Oma“ ernannt. Denn Mensah-Schramm ist seit bald 35 Jahren unterwegs, um Nazi-Schmierereien in der Öffentlichkeit zu entfernen. Hass-Sprüche werden meist in der Dunkelheit angebracht. Sie aber beseitigt sie bei Tageslicht. Man kann die weißhaarige Frau sehen, wenn sie in Städten und Dörfern unterwegs ist, mit ihren Einkaufsbeuteln, in denen die nötigen Gerätschaften stecken. Sie war schon in hunderten Orten, sie kennt das Land aus einer anderen Perspektive. In Wurzen hat sie mal 52 Sticker in einer einzigen Haltestelle beseitigt.

Es war 1986, ein normaler Arbeitstag, der das Leben der damals 40-jährigen Berlinerin veränderte. Sie wartete an einer Haltestelle auf den Bus, ihr Blick fiel auf einen Aufkleber. „Freiheit für [Name absichtlich weggelassen]“. Der Kriegsverbrecher saß in Spandau ein und sie regte sich während der Fahrt zur Arbeit über den Spruch auf. Nach der Heimfahrt kratzte sie ihn kurzentschlossen von der Scheibe.

Seither ist ihr Blick fokussiert, sie kann nicht mehr wegsehen. Sie sieht sie auf Schaufenstern, Hauswänden, in Haltestellen – die Graffitis, Plakate, Aufkleber, die Hass schüren, gegen Juden/Jüdinnen und Migrant*innen hetzen, zu Mord und Totschlag aufrufen, die NS-Zeit glorifizieren. Viele Passant*innen laufen achtlos vorbei. Irmela Schramm aber erträgt die Schriftzüge nicht, sie macht sie weg, es ist wie ein Sog. Und sonst macht es ja keiner.

»Ich höre erst auf, wenn ich fertig bin.«

Sie nimmt den Schaber für Cerankochfelder und reibt angeklebtes Papier von Glasscheiben. Sie nutzt eine Teleskop-Stange, um Laternenpfähle von Aufklebern zu befreien und Nagellackentferner, um Farbschmierereien zu beseitigen. Wenn riesige Graffiti zu Gewalt aufrufen, nimmt sie auch schon mal den Pinsel oder die Farbdose, übermalt oder übersprüht die Sprüche und verwandelt sie in etwas Menschenfreundliches. „Ich bin Teil der Zivilgesellschaft und ich tue meine staatsbürger*innenliche Pflicht“, sagt sie und verweist auf das Grundgesetz. „Ich möchte mit Würde behandelt werden und wünsche mir Würde auch für jeden anderen Menschen.“

Irmela Mensah-Schramm hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Immer schon hat sie sich für die eingesetzt, die nicht auf der Sonnenseite stehen. Sie arbeitete als Erzieherin, heilpädagogische Lehrkraft. Sie ist gegen Atomkraft und für Frieden auf die Straße gegangen. „Ich presche vor, erst recht wenn ich sehe, dass andere den Mund halten.“ Für ihr unermüdliches Entfernen der rechten Sprüche erhielt Mensah-Schramm bereits die Bundesverdienstmedaille, den Göttinger Friedenspreis und den Dresdner Erich-Kästner-Preis.

Dennoch, meistens stößt ihr Tun auf Argwohn, auch bei der Polizei. Zahllose Male wurde sie wegen Sachbeschädigung angezeigt. Sie bekam Platzverweise, wurde in Handschellen abgeführt, kam in Polizeigewahrsam. Ein Mal rasten gleich fünf Polizeiwagen auf sie zu. „Sie gehören ins Irrenhaus“, hat sie schon öfter gehört. Sie lebt mit abfälligen Bemerkungen, wurde geschubst und angeschrien. Im Internet bekam sie Morddrohungen. Dass ihr mal jemand auf die Schulter klopfe, wenn sie wieder einen Nazispruch getilgt habe, passiere eher selten. Hat sie sich ein dickes Fell zugelegt? Das sieht nur so aus. Manchmal schlage ihr die Aufregung auf den Magen. Angst? „Habe ich, aber ich lasse sie mir nicht anmerken.“

Das Hass-Archiv

Bevor sie einen Spruch wegmacht, fotografiert sie ihn. So ist ein Archiv mit tausenden Fotos entstanden, „Hass vernichtet“ hat sie es genannt. Mehr als 120 dicke Ordner sind voll. Es ist eine nachdenklich machende Sammlung, die sie bereits in 500 Ausstellungen gezeigt hat. Irmela Mensa-Schramm geht auch in Schulen, um Workshops zu geben. „Bitte nicht mit Gegenhass antworten“, gibt sie den Kindern mit auf den Weg, ehe diese auf Papierkopien die menschenverachtenden Sprüche umgestalten. Das Motto: „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“. Dann werden aus Hakenkreuzen beispielsweise fröhlich tanzende Strichmännchen bzw. -weibchen. Die Kinder nehmen leuchtende Farben, sie lassen ihre Phantasie und ihre eigenen Erfahrungen einfließen.

Für Irmela Mensah-Schramm sind das Momente, die ihre inneren Akkus auffüllen. Denn sie will weitermachen, solange sie kann. Wenn sie mal wieder angeschrien wird auf der Straße, sagt sie, was sie immer sagt: „Ich höre erst auf, wenn ich fertig bin.“

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum, auf der Grundlage des darin erschienen Artikels „Alt und voller Mut“ von Birgit Kummer, erschienen in der Ausgabe No. 15. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de

Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.

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