Erinnern: Wie unsere Erfahrungen uns stärken können

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum

Die meisten Menschen haben im Leben Gutes und Schlechtes erlebt, doch vieles ist in Vergessenheit geraten. Es hilft, sich bewusst die schönen Momente ins Gedächtnis zu rufen. Und die schlechten Erfahrungen? Die zeigen uns, welche Stärken wir haben.

Wenn sich in unseren Kopf allzu häufig Erinnerungen an negative Erlebnisse und Erfahrungen schleichen, ist es höchste Zeit gegenzusteuern. Ein Team unter Leitung des Cambridger Psychiaters Adrian Dahl Askelund hat das bei mehr als 400 Jugendlichen mit depressiven Neigungen untersucht. Die durchschnittlich 14-jährigen Versuchsteilnehmer*innen wurden immer wieder ermuntert, sich an positive Ereignisse zu erinnern. Bestimmte Begriffe sollten ihnen dabei helfen, sich besser mit schönen Erlebnissen und Momenten zu verbinden.

Die Ergebnisse nach einem Jahr waren eindeutig: Bei den Jugendlichen, die sich regelmäßig an Schönes erinnert hatten, waren die Symptome einer Depression weniger geworden. Bei ihnen war zudem der Spiegel des Stresshormons Cortisol, der bei depressiven Menschen allgemein erhöht ist, deutlich messbar gesunken.

Mit dem Vater durch den Wald spazieren

Es tut uns nicht gut und dennoch neigen die meisten Menschen dazu, sich vor allem an die negativen Erfahrungen in ihrem Leben zu erinnern: Niederlagen, Zurücksetzungen und Verluste. Die Psychologin Verena Kast empfiehlt dagegen einen ganz anderen Rückblick: die Freudenbiografie. Beispielsweise bei der Erinnerung an die eigenen Eltern. Statt an die vielen Ungerechtigkeiten zu denken, die wir mit ihnen erlebt haben, sollten wir die Aufmerksamkeit auf die schönen Momente lenken, etwa wie wir pfeifend mit dem Vater durch den Wald spazierten. „Vor allem die kleinen Freuden sind es, die uns den Alltag entscheidend verschönern und beleben können“, schreibt Kast in ihrem Buch Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben.

Eine Freudenbiografie verfassen

Wer eine Freudenbiografie angehen will, fragt sich als Erstes, wie und in welchen Situationen sie oder er im Leben Freude und Stolz erlebt hat. Wie habe ich mir die Freude bewahrt? Wie habe ich sie abgewehrt? Wie wurde sie mir verdorben und was ist aus ihr im Laufe meines Lebens geworden? „Die freudigen Situationen werden in der Vorstellung noch einmal erlebt, man versenkt sich in sie und erlebt dabei wieder Freude“, erklärt Kast. Auch wichtige, schwierige Veränderungen im Leben würden dadurch sichtbar und sogar greifbarer.

Die Suche im Heute und Gestern beginnen

Doch manchen fällt es schwer, sich an das Gute im eigenen Leben zu erinnern, es ist geradezu verschüttet. Dann hilft es, nicht zu weit in der Vergangenheit zu suchen, sondern einfach danach zu fragen, was einem gestern oder heute Freude gemacht hat, wie sich das angefühlt hat, wie es die eigene Stimmung beeinflusst hat und worauf man sich freut. Die Mühe lohnt sich. Denn die emotionale Erinnerung an Freuden helfe, das Leben nicht nur mit den Schwierigkeiten, sondern auch im Geglücktsein wahrzunehmen, meint die Psychologin Kast. So gelingt es, sich mit der eigenen Geschichte zu versöhnen und „den Reichtum des Lebens noch einmal in Erinnerung zu holen“.

Erinnerungen können bereichern oder lähmen

Auch „negative“ Erinnerungen können uns bereichern. Aus neurowissenschaftlicher Sicht sind Erinnerungen keine detailgetreuen Abbildungen der Vergangenheit, sondern komplexe Rekonstruktionen. Vergangenes wird interpretiert und im Licht der Gegenwart gesehen. Für die Psychologin und Sozialanthropologin Robin Lohmann hat das, woran wir uns erinnern, mehr mit dem Jetzt zu tun als mit der Vergangenheit.

„Unsere Erinnerungen treten erneut in unser Bewusstsein, weil sie uns etwas sagen möchten, weil sie Botschaften für die Gegenwart in sich tragen“, schreibt sie in ihrem Buch Was gestern war, hilft mir für morgen. Lebenskompetenz durch Erinnerung. „Ob eine Erinnerung positive oder negative Gefühle auslöst, hängt allein davon ab, wie wir sie aus heutiger Sicht bewerten. Bereichert sie unsere Gegenwart, hilft sie uns bei aktuellen Herausforderungen? Oder behindert sie uns in unserer Entwicklung, lähmt sie uns?“

Welche Stärken habe ich?

Jede Erinnerung, egal ob spontan oder bewusst hervorgerufen, könne Geschenke mit sich bringen: Freude, persönlichen Lebenssinn, Identität und Selbstverständnis, Hilfe bei Umbruch und Wandel, ja sogar Zukunftsorientierung. Denn wenn wir uns daran erinnern, welche Stärken und Fähigkeiten wir in der Vergangenheit an den Tag gelegt haben, dann können wir auch besser gegenwärtige Aufgaben und Herausforderungen bewältigen. Manchmal können wir in unseren Erinnerungen sogar Potenziale entdecken, derer wir uns bisher nicht bewusst waren. „Es geht nicht darum, rückwärts zu leben, sondern darum, zurückzuschauen und sich dadurch weiterzuentwickeln.“

So entsteht Widerstandskraft

Genau das ist gemeint, wenn über Resilienz gesprochen wird. Der Begriff wurde ursprünglich verwendet, um die Widerstandsfähigkeit von Materialien zu beschreiben. In der Psychologie wird Resilienz als die Fähigkeit von Menschen definiert, Krisen zu meistern, indem sie auf persönliche und soziale Ressourcen zurückgreifen, und sich dadurch am Ende weiterzuentwickeln.

Sich an Situationen zu erinnern, in denen wir Schwieriges gemeistert und bestimmte Kompetenzen gezeigt haben, können uns selbstbewusster machen und auch die eigene Resilienz stärken. Deswegen der Tipp der Göttinger Resilienz Akademie: Sich einfach mal die eigene „Held*innengeschichte“ erzählen!

Gastbeitrag des Online-Magazins Prinzip Apfelbaum, auf der Grundlage des darin erschienen Artikels „Erinnern: Wie unsere Erfahrungen uns stärken können“ von Kristina Simons, erschienen in der Ausgabe No. 16. Alle Artikel und Ausgaben des Online-Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de

Dies ist ein Gastbeitrag der “Initiative Apfelbaum – mein Erbe tut Gutes“. Die Stiftung Bildung benutzt eine gesellschaftlich bewusst reflektierte Sprache (bspw: mit*, Diskriminierungen vermeidend, Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen u.ä.) in all ihren eigenen Beiträgen, respektiert das Recht am eigenen Wort der*des Autor*in, veröffentlicht auf den eigenen Medien der Stiftung Bildung jedoch nur die der Compliance angepassten Texte.

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